Rasterschlüssel 44

Herkunft / Verwendung:Der Rasterschlüssel 44 (kurz RS44) wurde von der deutschen Wehrmacht während des zweiten Weltkrieges ab März 1944 als Nachfolger des Doppelkastenschlüssels eingesetzt.

Er war ein Handschlüsselverfahren, dass sich durch vorbereitete tabellarische Formblätter auszeichnete, die 25 Spalten und 24 Zeilen aufwiesen, von denen pro Zeile 15 Kästchen geschwärzt und 10 beschreibbar waren.

Für die Verschlüsselung wurde ein beliebiges beschreibbares Kästchen gewählt und dann zeilenweise der Klartext eingetragen. Geschwärzte Felder wurden dabei ausgelassen. Kam man ans Ende des Formulars, wurde einfach in der nächsten Zeile am Anfang bzw. dem ersten leeren Kästchen dort weitergeschrieben.

Danach wurde das Formular spaltenweise (ab einer willkürlich gewählten und übermittelten Spalte) von oben (immer beginnend mit der obersten Zeile) nach unten abgelesen und der sich daraus resultierende Geheimtext niedergeschrieben und übermittelt. Dabei wurde der Reihenfolge der Nummerierung der Spalten beachtet. Nach Spalte 14 erfolgte Spalte 15, weiter bis zur Spalte 25 und danach von vorn beginnend mit Spalte 1. Der besseren Lesbarkeit halber werden die verschlüsselten Buchstaben in Gruppen zu 5 Zeichen niedergeschrieben.

An den Rändern war das wie ein Kreuzworträtsel anmutende Formular mit zweistelligen Buchstabencodes für Spalte und Zeile beschriftet (Spaltenlosung und Zeilenlosung genannt), die jeweils zufällige Namen mit Buchstaben im Bereich von aa bis ee hatten. So ließ sich die Anfangsposition, bei der man mit dem Schreiben begonnen hatte (oder zur Verschleierung ein schwarzes Feld links daneben), in 4 Buchstaben kodieren - siehe dazu auch das Beispielbild und die Pfeilmarkierung, die auf den Beginn bbae zeigt. Auf der Rückseite befand sich eine Tabelle, die pro Buchstabe 5 Homophone zur Auswahl bot, von denen je eines ausgewählt und übertragen wurde. Die Spaltenlosungen und Zeilenlosungen wechselten täglich.

Auf der Vorderseite der Rasterschablone befanden sich :
  • Angabe der Schlüsselart (Divisions-Handschlüssel, Heeres-Handschlüssel usw.) und des Monatstages
  • eine täglich wechselnde Buchstabentauschtafel zur Verschlüsselung der Buchstaben im Spruchschlüssel. Dabei wird ein beliebiger, wechselnder der unter den Buchstaben a bis e für Spalte und Zeile stehenden Ersatzbuchstaben zu wählen.

    Beispiel (aus bbae wird z. B. tuzd, aus aa wird z. B. gl):
    a b c d e g t a c d e q f i y b x o h n z u k s v l r w m p
  • zwei Ortsnamenalphabete zur Verschlüsselung von Ortsnamen, wobei jeweils ein Buchstabe durch einen anderen ersetzt wird.

    Beispiel:
    a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ ↕ n m l y a x w f u q t d z r i v k g e o p j s h b c
Ein Spruchkopf bestand aus Uhrzeit, Anzahl der eingetragenen Zeichen und den ausgewählten Ersatzbuchstaben für Spalte/Zeile Schreibbeginn und Spalte Auslesebeginn und sah z. B. So aus: 2330 - 77 - tuzd gl (kodiert) für 2330 - 77 - bbae aa (Klartext) Zur Entschlüsselung markierte der Soldat ab der dekodierten Anfangsposition die angegebene Anzahl weiße Kästchen und zog einen Rahmen darum, um den Bereich zu markieren, in den der Chiffrattext eingetragen wurde, und zwar spaltenweise, beginnend mit der dekodierten Auslesebeginnspalte, von oben nach unten bis zum Markierungsende und mit den rechts daneben liegenden Spalte weiter.

Da pro Zeile 10 Felder beschreibbar waren, waren Texte bis insgesamt 250 Zeichen möglich. Es wurde aber eine Obergrenze von 200 Zeichen festgelegt. Die Formulare wechselten regelmäßig und das Verfahren galt bei richtiger Anwendung bei den Alliierten als sehr sicher. Eine Entschlüsselung dauerte pro Nachricht etwa zwei Wochen, wenn sie überhaupt möglich war und bedeutete einen hohen Aufwand, den man scheute. Die Nachrichten der Enigma waren dagegen vergleichsweise einfach und schnell zu knacken.

Bewertung des Algorithmus

Es handelt sich um ein klassisches Transpositionsverfahren, bei dem Klartext horizontal niedergeschrieben und vertikal nach Spaltentausch ausgelesen wird. Durch die schwarzen, nicht beschreibbaren Felder ergaben sich Lücken, die die Buchstaben fast zufällig durcheinander würfelten. Die Chiffre konnte dadurch eine gute Sicherheit bieten.

Schwäche und Angriffspunkt des Verfahrens könnte sein, dass alle Buchstaben erhalten bleiben, es durch Bildung von Anagrammen und erraten von bekannten Wörtern zu übrig gebliebenen Buchstaben kommt, die durch Umstellung erraten werden könnten. Diese wird sich allerdings schwierig gestalten, solange nicht der Großteil des Textes gleich bleibt und nur einzelne Angaben ausgetauscht werden.

Beispiel

2330 - 77 - tuzd gl
Klartext:Feind greift seit 11:45 Uhr bei Orjechow mit acht Panzern nach Südwesten an
kodierte Schriftform:feind greift seit elf x vier fuenf uhr bei aa igqalfis igqalfis ee* mit aqt panz naq suedwest an
Schlüssel:siehe Formblatt, Schreibbeginn ab bbae (aus "tuzd"), Auslesebeginn in Spalte aa (aus "gl")
Spruchkopf:2330 - 77 - tuzd gl (Es war 23:30 Uhr und der Spruch enthält 77 Zeichen
Chiffrat:eeaae niqss irlie fesel tdian mrqtv fnnri siffg puefz gnaee haeut aiiea dagqq lwibs ffxut it
* ch und ck wurden durch q ersetzt, Ortsangaben nach dem Ortsnamenalphabet verschlüsselt, doppelt genannt und zwischen aa und ee gesetzt, Satzzeichen werden wie folgt geschrieben: ein Punkt wird zu "stop", ein Komma zu "koma", eine Fragezeichen zu "fraq" und Klammern zu "klam". Umlaute werden zu Selbstlaut plus "e" (z. B. Ä -> "ae"). Das ß wird zu "sz". Zahlen werden in einzelnen Ziffern geschrieben. Dezimalpotenzen zu "zenta" (00), "mille" (000) und "miria" (0000). Weitere Sonderschreibweisen siehe (1)
** ohne die Leerzeichen, diese dienen nur der Lesbarkeit

Schritt für Schritt

Verschlüsselung

Der zu übermittelnde Spruch wird in das richtige Format gebracht. Dabei wird das auf der Vorderseite des Formulars aufgeführte Ortsnamenalphabet dazu benutzt, Ortsnamen extra zu verschlüsseln. Aus der Nachricht "Feind greift seit 11:45 Uhr bei Orjechow mit acht Panzern nach Südwesten an" wird so "feind greift seit elf x vier fuenf uhr bei aa igqalfis igqalfis ee mit aqt panz naq suedwest an".

Das Formblatt für den betreffenden Tag wird heraus gesucht und es wird willkürlich ein Anfangsfeld gewählt und markiert: Hier ist es Spalte bb und Zeile ae, kurz bbae. Da dieses Feld schwarz wird, ist das Anfangsfeld für das Schreiben das Feld rechts daneben. Ab hier wird nun der Spruchtext in den weißen Feldern eingetragen. Trifft man auf das Ende am rechten Rand, wird in der nächsten Zeile links weitergeschrieben:


77 Zeichen, bbae

Die Anzahl der Zeichen des Spruches und das Anfangsfeld wird unten auf dem Formblatt notiert.

Dann wird für jeden Buchstaben der Startkoordinaten ein Ersatzbuchstaben aus der Buchstabentauschtafel ausgewählt. Aus "bbae" wird so "tuzd", auch das wird unterhalb notiert. Außerdem wird noch eine Spalte willkürlich ausgewählt, die der Auslesebeginn sein soll und auch dies notiert. Es soll Spalte "aa" gewählt werden, was zu "gl" kodiert wird.

77 Zeichen, bbae = tuzd, aa = gl

Nun geht es ans spaltenweise Auslesen, das eigentliche Verschlüsseln: ab dem gewählten Auslesebeginn "aa" wird nun mit der Spalte 14 mit dem Auslesen begonnen, und zwar von oben nach unten. Danach wird die nächsthöhere Spaltennummer gesucht und dort weitergemacht. Nach Spalte 25 wird mit Spalte 1 weitergemacht, bis alle 24 Spalten ausgelesen sind:



Es ergibt sich als Chiffrat:
(aa/14) eea a (15) eniq s (16) sirli (17) efese (18) lt (19) d ian (20) m (21) rq (22) tv fn (23) n r i s (24) iffg pu (25) e f z ( 1) g n ( 2) a e ( 3) ( 4) e ha e ( 5) u t a ( 6) i i e ( 7) ad ( 8) a ( 9) gq (10) ql w (11) i b s (12) ffxu (13) t i t
In Fünfergruppen geschrieben:
eeaae niqss irlie fesel tdian mrqtv fnnri siffg puefz gnaee haeut aiiea dagqq lwibs ffxut it
Dieses wird mit dem Spruchkopf
2330 - 77 - tuzd gl
, der Uhrzeit, Zeichenanzahl und kodierten Eintragsbeginn und Auslesebeginn enthält, an den Empfänger übermittelt.

Entschlüsselung

Aus dem Eintragbeginn und Auslesebeginn des Verschlüsslers wird Auslesebeginn und Eintragsbeginn des Entschlüsslers.

Zu allerst dekodiert man den Spruchkopf zu
2330 - 77 - bbae aa
und markiert Spaltencode "aa" (im Beispiel grün, ehemaliger Auslesebeginn) und Startkoordinaten "bbae" (im Beispiel rot). Dann zählt man die 77 Zeichen ab und markiert sich den Eintragebereich zum Beispiel durch einen Rahmen, ich habe es im Beispiel einmal gelb markiert.

Dann fängt man bei Spalte "aa" bzw. 14 an und trägt in den Eingabebereich, also die gelben Felder von oben nach unten die ersten Buchstaben des Chiffrats ein. Sind die gelben Kästchen aufgebraucht, geht es mit der nächsten Spalte 15 weiter, gleiches Prozedere. Danach folgen 16 bis 25 und danach 1 bis 13. Nun hat man alle 77 Zeichen verteilt.



Ist das geschehen, kann man beginnend mit den Startkoordinaten "bbae" den (kodierten) Klartext ablesen:



feindgreiftseitelfxvierfuenfuhrbeiaaigqalfisigqalfiseemitaqtpanznaqsuedwestan

was man durch Einsatz von passenden Leerzeichen umformt zu:

feind greift seit elf x vier fuenf uhr bei aa igqalfis igqalfis ee mit aqt panz naq suedwest an

Das "aa" und "ee" und die Wiederholung zeigen eine Ortsangabe an, die mittels des Ortsnamenalphabets dekodiert wird:

feind greift seit elf x vier fuenf uhr bei orjechow mit aqt panz naq suedwest an

Dann noch die "q" zu "ch" oder "ck" machen, die Abkürzungen ausschreiben und die richtige Groß-/Kleinschreibung anwenden:

Feind greift seit 11:45 Uhr bei Orjechow mit acht Panzern nach Südwest an.

Und man hat den Ursprungstext wieder.

Code / Chiffre online dekodieren / entschlüsseln bzw. kodieren / verschlüsseln (DeCoder / Encoder / Solver-Tool)

Um den Chiffre demonstrierbar zu machen, müsste man das Aussehen des Formulars als Schlüsselteil angeben. Selbst wenn man das vereinfacht machen wollte, indem man pro Zeile die 10 von 24 beschreibbaren Spaltenposition mit Buchstaben von A bis X angibt, so wären dies doch 10 mal 25, also 250 Buchstaben, die für jedes Formblatt zu kodieren wären. Auf eine Demonstration wird darum verzichtet.



Quellen, Literaturverweise und weiterführende Links