Maria-Stuart Geheimschriften

Herkunft / Verwendung:Maria Stuart, ehemals Königin von Schottland und Frankreich benutzte 1586 während ihrer jahrelangen Gefangenschaft durch die englische Königin Elisabeth eine Geheimschrift zur Kommunikation mit Anthony Babington, um die Ermordung Elisabeths und die eigene Befreiung zu planen. Sie versteckte dabei die Botschaften in einem Spund, mit dem man damals Bierfässer versiegelte. So konnten diese außerhalb von Chartley Hall gelangen.

Der benutzte Nomenklator bestand aus Ersetzungszeichen für die Buchstaben A bis Z (ohne j, v und w) sowie für häufig verwendete Wörter. Diese Geheimschrift war also nicht homophon. Nur für die Leerzeichen standen 4 unterschiedliche Zeichen zur Auswahl.

Zudem gibt es das Zeichen (Dowbleth), das anzeigt, wenn ein Doppelbuchstabe folgt. So wurde eine Analyse mit der Annahme "doppelte Zeichen entsprechen doppelten Buchstaben" erschwert.

Die Babington Verschwörung ist auch ein schönes Beispiel eines "Man in the middle"-Angriffs. Denn zwischenzeitlich bekam Walsingham, Elisabeths Minister für Sicherheit, Wind von der Sache und rekrutierte Gifford, der dann die Botschaften, statt sie direkt Maria zu geben, erst bei ihm ablieferte.

Walsingham ließ die Briefe öffnen, Kopien anfertigen und mit gefälschtem Siegel wieder verschließen, bevor er sie durch Gifford bei Maria abgeben ließ. Walsingham gab die Abschriften an Thomas Phelippes weiter, seines Zeichens Geheimsekretär und Kryptoanalytiker, der die Chiffre mittels Häufigkeitsanalyse entschlüsselte. So wusste Walsingham von dem Inhalt, ohne das Maria etwas ahnte.

In einer Botschaft schlägt Babington die Ermordung Elisabeths vor. Doch statt sofort Massnahmen wie die Hinrichtung Babingtons zu veranlassen, wartet Walsingham ab, bis Maria antwortet. Diese schreibt:
Wenn Ihr Vorhaben in England und außerhalb abgeschlossen ist, dann lassen Sie die sechs Gentlemen [die, die Ermordung Elisabeths planen] zur Tat schreiten; und wenn das erledigt ist, kommen Sie mich befreien.
The affair being thus prepared, and forces in readiness both within and without the realm, then shall it be time to set the six gentlemen to work; taking order upon the accomplishment of their design, I may be suddenly transported out of this place.
und heißt damit die Ermordung Elisabeths gut und rechtfertigt so ihr eigenes Todesurteil vor der englischen Krone.

Doch damit nicht genug. Der geduldige Walsingham greift immer noch nicht ein, sondern lässt die Antwort von Maria fälschen und in der Fälschung nachfragen, wie denn die Namen der sechs Verschworenen lauten, damit Maria sich angeblich ein Urteil über deren Verlässlichkeit bilden könne.

Babington tappt in die Falle, hält die Nachricht für echt und antwortet. Das ermöglicht Walsingham den Aufstand im Keim zu ersticken, indem er den gesamten Verschworenenkreis verhaften und zum Tode verurteilen lässt.

Auch Maria Stuart wird der Prozess gemacht, in dem die Beweise (die geheimen Botschaften) schwer wogen und sie des Hochverrats für schuldig befunden wurde. Maria fand am 8. Februar 1587 in Fotheringhay Castle in Northamptonshire den Tod durch Enthauptung.

Nachtrag 2023-02-10

Viele Briefe von Maria Stuart galten zwischenzeitlich als verschollen. Es waren bisher nur acht bekannt. Doch nun gelang es dem Team aus George Lasry, Norbert Biermann und Satoshi Tomokiyo im Rahmen des Projektes Decrypt weitere (mehr als 55) Dokumente in der französischen Nationalbibliothek in Paris als von Maria Stuart chiffriert ausfindig zu machen, zu identifizieren und zu dechiffrieren.

Die Dokumente waren in der Bibliothek falsch einsortiert worden und deren historische Wichtigkeit war bisher niemanden bewusst geworden. Der Fund ist auch der Bibliothèque nationale de France zu verdanken, die die Dokumenten eingescannt und online bereit gestellt hat, so dass Forscher aus der ganzen Welt darauf zugreifen können, ohne extra nach Paris reisen zu müssen. Das Team fand die Chiffrate in den Sammlungen BnF Français 2988, 20506 und 3158.

Die chiffrierten Briefe stammen aus den Jahren 1578 bis 1584 und waren zumeist an Michel de Castelnau, Seigneur de La Mauvissière adressiert, dem französischen Botschafter in London, England zu dieser Zeit (1575 bis 1585).

Die dort verwendete Castelnau-Variante unterscheidet sich von der Babington-Variante, denn sie ist komplexer und homophon, das heißt, es gibt mehrere Geheimzeichen für einen Buchstaben. Die Briefe selbst sind im Klartext in französisch verfasst.

Geknackt wurde die Chiffre mittels spezieller Computerprogramme, die die verwendeten Geheimzeichen transkriptieren, katalogisieren, ordnen und per Hill-Climbing-Technik einer Häufigkeits-Analyse unterziehen können. So konnten grob Buchstaben Geheimsymbolen zugeordnet werden. Für die Feinarbeit war dann wieder der menschliche Verstand, Analyse- und Kombinationsgabe des Team gefragt.

Dabei halfen auch Klartextkopien von sieben dieser Briefe von 1583 bis 1584, die offenbar Francis Walsingham zugespielt wurden. Hier war eine direkte Zuordnung von Geheim- und Klartextzeichen schon vorgenommen und so konnten sie als Grundlage genommen werden. Diese Klartextkopien konnten in den British National Archives durch das Team aufgespürt werden. Die betreffenden Chiffren sind dort unter SP3/22, SP3/23, SP12/193/54 (Babington) und SP106/1-3 (Albert Fontenay und Nau) auffindbar.

Für nähere Informationen zur Dechiffrierungsarbeit empfehle ich die unten in den Quellen genannten und verlinkten Dokumente und Videos.

Spezifikation des Codes, der mit Babington zum Einsatz kam (Klartext englisch)




1. Drittel: Beispiel-Chiffrat;
2. + 3. Drittel: Übersetzungstabelle von Anthony Babington

Beispiel Babington-Chiffre

Klartext:The affair being thus prepared and forces in readiness both within and without the realm then shall it be time to set the six gentlemen to work taking order upon the accomplishment of their design I may be suddenly transported out of this place
Kodiert:

Spezifikation des Codes, der mit Castelnau zum Einsatz kam (Klartext französisch)

Der folgende, vollständige Nomenklator wurde freundlicherweise vom Team George Lasry, Norbert Biermann, Satoshi Tomokiyo zur Verwendung auf Kryptografie.de zur Verfügung gestellt:




Bitte beachten Sie, dass der Decoder weiter unten die Eigennamen, Herrscherbezeichnungen und Hauptwörter (Spalte 1, 2 und 3) nicht enthält. Diese müssen der obigen Tabelle entnommen werden.

Das hat den Grund, dass eine gewisse Übersicht bei den klickbaren Zeichen im Dekoder gewahrt werden muss und zuviele (und selterene) Symbole nur irritieren. Sie finden die gebräuchlichen Zeichen am Ende der klickbaren Zeichen, diese ist nach Länge der Phrasen (bzw. Buchstaben) sortiert.

Beispiel Castelnau-Chiffre

Das in der französischen Nationalbibliothek gefundene Original-Chiffrat:

Quelle: gallica.bnf.fr/BnF fr. 2988 f.38



und seine Dechiffrierung zum Klartext:



Klartext:son desavantage que pour irriter ses meilleurs [3. Zeile]
Kodiert:
(durch Homophone sind die Symbole teilweise anders als im Chiffrat)

Code / Chiffre online dekodieren / entschlüsseln bzw. kodieren / verschlüsseln (Decoder / Encoder / Solver-Tool)



Quellen, Literaturverweise und weiterführende Links

Wrixon, Fred B.: Codes, Chiffren & andere Geheimsprachen, Könemann Verlag 2000, S. 29
Pincock, Stephen und Frary, Mark: Geheime Codes, Ehrenwirth 2007, S. 33
Singh, Simon: Geheime Botschaften, Hanser Verlag 2000, S. 15 u. 50
Kippenhahn, Rudolf: Verschlüsselte Botschaften, Nikol Verlag 2006, S. 24
Gómez, Joan: Geheimsprachen und Decodierung, Librero Verlag 2016, S. 41
Kahn, David: The Codebreakers - The Story of Secret Writing, Macmillan Verlag 1968, S. 122
George Lasry, Norbert Biermann, Satoshi Tomokiyo in Cryptologia: Deciphering Mary Stuart’s lost letters from 1578-1584
Klaus Schmeh im iX Magazin: Forscherteam knackt verschlüsselte Briefe von Maria Stuart
Nils Kopal und George Lasry auf Youtube: Deciphering Mary Stuart's Lost Letters – A Talk Given by George Lasry
De-Crypt Projekt