Anagramme

Als Anagramm (von griechisch anagráphein "umschreiben") wird eine Buchstabenfolge bezeichnet, die aus einer anderen Buchstabenfolge allein durch Umstellung (Permutation) der Buchstaben gebildet werden kann. laloh ist beispielsweise ein Anagramm von hallo (und umgekehrt).

Auch in der jüdischen Hermeneutik finden Anagramme Anwendung. Dort wird das Verfahren mit "Zeruph" bezeichnet, was so viel wie "Zusammenstellung", aber auch "Läuterung" bedeutet. In der Hermeneutik geht es immer auch um Interpretation und Deutung und so wird dort versucht, durch Umstellung der Buchstaben eines Wortes ein neues zu finden, dass die Bedeutung des ersten erklärt.

Im Bereich der Kryptologie spielen Anagramme deshalb eine Rolle, weil jede Transposition Anagramme des Klartextes erzeugt. Die Zeichen werden nicht ersetzt, sondern nur ihre Positionen vertauscht. Kommen also lediglich Transpositionen in einem Verschlüsselungsverfahren zum Einsatz, dann muss das Chiffrat (der Geheimtext) ein Anagramm des Klartextes sein.

Wird z. B. der Klartext Beispiel durch einen Spaltentausch mit dem Schlüssel 21543 zu eeBipsil, so ist eeBipsil ein Anagramm zu Beispiel. Bei so kurzen Wörtern ist die Umstellung noch schnell zu erkennen, aber mit steigenden Anzahl der Zeichen wächst die Anzahl der möglichen Permutationen und somit der zu kontrollierenden Anagramme, ob sie Sinn ergeben.

Die Anzahl der Möglichkeiten beträgt n!, wobei n die Klartextlänge ist. Für ja gibt es nur zwei (2!) Anagramme: ja und aj, für die bereits 6 (3!): die, dei, edi, eid, ide, ied wobei nur die und eid im deutschen einen Sinn ergeben. Entsprechend gibt es für hallo 5! = 120, für Beispiel 7! = 5040 und für Beispielklartext bereits 16! = 20.922.789.888.000 Möglichkeiten.

Für kurze Chiffrate kann man also mittels Computerprogramm alle Permutationen durchgehen und versuchen darin Wörter (aus einer Wörterbuchdatenbank) zu finden, um den Klartext zu erhalten. Für längere Chiffrate macht es unter Umständen (vom Transpositions-Verfahren abhängig) Sinn, kleinere Teile zu anagrammieren.

Wobei man sich nie sicher sein kann, das richtige Anagramm gefunden zu haben, denn Anagramme haben keine eindeutige Zuordnung. Die Buchstaben könnten vielleicht anders umgestellt doch noch einen anderen sinnvollen Satz ergeben. Das zeigt sich schon an dem sehr kurzen Besipiel "ied", das umgestellt "die" oder auch "eid" sein kann. Je länger ein Anagramm ist, desto mehr Möglichkeiten ergeben sich. Deshalb haben Anagramme auch keine Unizitätslänge (Eindeutigkeitsdistanz).

Eine weitere, historische Anwendung von Anagrammen ist die Verwendung als Beweisführung, ohne ein Geheimnis zu verraten.

So veröffentlichte Galileo Galilei (1564-1641) mit HAEC IMMATURA A ME IAM FRUSTRA LEGUNTUR OY ein Anagramm statt Cynthiae figuras aemulatur Mater Amorum (deutsch: "Die Mutter der Liebe [gemeint ist der Planet Venus] ahmt die Gestalten der Mondgöttin [also die Mondphasen] nach") und SMAISMRMILMEPOETALEVMIBVNENVGTTAVIRAS statt Altissimvm planetam tergeminvm observavi (deutsch: "Ich beobachtete den höchsten Planeten [Saturn] in dreigestaltiger Form"). Im letzteren Beispiel beschrieb er seine Beobachtung der Saturnringe, die er irrtümlich für zwei Objekte links und rechts der Saturnkugel hielt.

Doch niemand hätte das Klartext-Anagramm erraten können. Galilei hätte aber ggf. beweisen können, dass er der erste war, der eine Entdeckung gemacht hatte, indem er das Anagramm auflöste. Der Ruhm wäre ihm gewiss, sollte sich seine Entdeckung bestätigen und die Schmach bliebe ihm erspart, sollte sein These doch falsch sein.

Dummerweise für Galilei, der so weder Bestätigung noch Widerlegung seiner These erfuhr, veröffentlichte der niederländische Astronom Christiaan Huygens (1629-1695) 45 Jahre später ebenfalls nur ein Anagramm: AAAAAAA CCCCC D EEEEE G H IIIIIII LLLL MM NNNNNNNNN OOOO PP Q RR S TTTTT UUUUU (Kurzschreibweise a7 c5 d1 e5 g1 h1 i7 l4 m2 n9 o4 p2 q1 r2 s1 t5 u5), wobei er die Buchstaben alphabetisch sortiert hatte. Es stand für Annulo cingitur, tenui plano, nusquam cohaerente, ad eclipticam inclinato (deutsch: "Er ist von einem Ring umgeben, welcher dünn und flach ist, nirgends mit ihm zusammenhängt und gegen die Ekliptik geneigt ist"). Die Geheimniskrämerei und Eifersucht dieser Zeit war dem wissenschaftlichem Fortschritt sicher nicht zuträglich. Galilei erfuhr erst drei Jahre nach Huygens' Anagramm-Veröffentlichung von seiner Fehleinschätzung, als Huygens das Anagramm entblößte.

Ein weiteres Beispiele ist Robert Hooke (1635-1702) mit dem Anagramm CEIIINOSSSTTUV für die Elementargleichung der Elastizitätslehre Ut tensio sic vis ("Wie die Dehnung, so die Kraft"), welches man aufgrund der Kürze durchaus noch lösen kann.

Gerne verschleierten Autoren auch ihre Autorenschaft mit Anagrammen (dann Ananym genannt) und dies bereits im 16. Jahrhundert: Andreas Libavius (1555-1616) machte davon Gebrauch und nannte sich Basilius de Varna für eine Streitschrift gegen den Jesuiten Jakob Gretser. François Rabelais (1494-1553) nannte sich Alcofribas Nasier für sein Werk Gargantua und Pantagruel. Der Schriftsteller Paul Celan hieß eigentlich Paul Ancel. Die Motive sind wohl ähnlich wie oben: Macht man sich sich mit einem Buch Freunde, kann man seine Autorenschaft beweisen; macht man sich Feinde, war man es nicht gewesen.



Quellen, Literaturverweise und weiterführende Links

Kippenhahn, Rudolf: Verschlüsselte Botschaften, Nikol Verlag 2006, S. 177 u. 310
Bauer, Friedrich L.: Entzifferte Geheimnisse, Springer Verlag 1995, S. 84
Anagramm-Generator in deutscher Sprache von sibiller.de
Anagramm-Generator der NLP Community
Anagramm-Generator bei Anagramme Expert
Inge's Anagram Generator